Marienbrunn und die IBA 1913

Originelle Anreise zur Gartenvorstadt

Die Internationale Baufachausstellung 1913 in Leipzig war praktisch die „Mutter“, die Gartenvorstadt Marienbrunn als deren Sonderausstellung ihr „Kind“. Beide waren räumlich durch etwa 400m breites brachliegendes Grünland voneinander getrennt.

Damit stellte sich die Frage, auf welchem Weg die Ausstellungsbesucher nach Marienbrunn und wieder zurückkommen.

Erste Überlegungen sahen eine Schwebebahn vor:

marienbrunn-2013
schwebebahn

Eine Schwebebahn (genauer: Hängebahn) ist – zur damaligen Zeit – ein spurgeführtes Verkehrsmittel, bei dem das Fahrzeug unterhalb des tragenden starren Fahrwegs hängend angebracht ist. Die in Deutschland bekannteste Hängebahn ist die 1901 eröffnete Wuppertaler Schwebebahn.

Die Errichtung einer Verbindung mittels Schwebebahn wurde – wahrscheinlich aus Kostengründen – von der Ausstellungsleitung verworfen.

Ob über eine Verbindung Ausstellungsgelände-Gartenvorstadt mittels Seilbahn nachgedacht wurde, ist nicht überliefert. Allerdings liegt die Vermutung nahe, gab es doch in Leipzig-Gohlis mit den Bleichert-Werken die weltweit größte Seilbahnfabrik, gegründet vom Leipziger Ingenieur und Unternehmer Adolf Bleichert, dem Wegbereiter des Seilbahnbaus.

Eine Seilbahn ist eine Bahn, bei der die Fahrzeuge an Tragseilen hängend ohne Bodenkontakt verkehren. Bei Seilbahnen wird der Abstand zum Boden durch Stützen gewährleistet.

Schlussendlich entschied man sich für eine Variante mittels dampflokgetriebener Eisenbahn. Die Gesellschaft für Feldbahn-Industrie Smoschewer & Co aus Leipzig unterbreitete ein kostengünstiges Angebot und erhielt den Zuschlag:

marienbrunn-eisenbahn

Anders als bei der ursprünglich vorgesehenen Schwebebahn, die direkt auf dem Ausstellungsgelände beginnen sollte (und somit die x-x-Eisenbahnlinie überqueren musste), wurde der Startpunkt der Eisenbahn in den Vergnügungspark der Ausstellung gelegt (und dadurch die Querung der Eisenbahnstrecke vermieden). Es entstand von da aus zur Gartenvorstadt Marienbrunn hin eine durchgehende Rundstrecke mit Ovalen an den Enden als Zu- und Ausstiegsstation, zwei parallelen Geraden (im Bild im oberen Drittel rechts von der Mitte schemenhaft zu sehen) sowie einem Lokschuppen in der Mitte westlich gelegenen Gleises:

eisenbahnstrecke

Der Streckenverlauf sah schematisch wie folgt aus:

Zu erkennen sind die Einzäunung des gesamten Betriebsbereichs, der Lokschuppen mit der einzigen Weiche der Strecke und die Zu- und Ausstiege „Marienbrunn“ (oben; ehem. verlängerte Meusdorfer Straße heute An der Tabaksmühle) und „Ausstellungsgelände“ (ehem. Kaiserin-Augusta-Straße heute Richard-Lehmann-Straße).

Zum Einsatz kamen zwei 5,3m lange, leer 3,4t schwere  Dampflokomotiven, deren Spurweite 600mm betrug. Sie wurden aus verfügbaren Feldbahnteilen gebaut. Die Lokomotivführer saßen zwischen Führerhaus und Tender. In den vier zweiachsigen Personenwagen fanden je acht Fahrgäste Platz. Die Anlage der Verbindungsbahn war aus Sicherheitsgründen eingezäunt. Die Fahrkarte kostete 20 Pfennig.

Ob bis zum 7. September 1913 tatsächlich knapp 52.000 Besucher die Verbindungsbahn genutzt haben, darf aber wohl bezweifelt werden.

streckenverlauf
Quelle: Arndt, G., U. Arndt: Pionier- und Ausstellungsbahnen. Transpress VEB Verlag für Verkehrswesen, Berlin 1981.
fahrkarten