Broschüre: Gartenstädte und Werkssiedlungen in Deutschland

Die Entwicklung unserer Gartenstadt Marienbrunn war Anlass, uns mit der Entstehung anderer Gartenstädte/Werkssiedlungen in Deutschland zu befassen.

Von Interesse war schon für uns, mehr über die damalige Zeit ihrer Entstehung zu erfahren und wie sie sich in die jetzige Städteentwicklung eingefügt haben.

Obwohl nur eine kleine Auswahl, wollten wir das Interesse unser Mitbewohner wecken, sich selbst einen Überblick der bestehenden Gartenstädte/Werkssiedlungen in Deutschland zu verschaffen und vielleicht bei einem Besuch sich über deren Entwicklung zu informieren.

Einleitung - Gedanken, Idee, Vorläufer und Realisierung

Zunächst müssen wir uns fragen, wie entstanden die Gartenstädte, wer war der Auslöser?

Wenn wir nach den direkten Wurzeln suchen, müssen wir einen Abstecher nach England machen. In den englischen Industriezentren waren die Wohnverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung Ende des 19. Jahrhundert so schlecht, dass es zu großen sozialen Problemen kam.

Dabei waren die Menschen zu Tausenden in die Großstädte gekommen, weil es hier mehr Chancen zum Arbeiten gab. Lebensreformer, Sozialreformer und sozialistische Bewegungen nahmen sich der Sache an und bemühten sich um Abhilfe.

1898 erregte ein heute klassisches Werk der Gartenstadtliteratur eine besondere Aufmerksamkeit. Der englische Parlamentsstenograf und Projektmacher Ebenezer Howard, entwickelte in seinem Buch „Garden-Cities of Tomorrow“ präzise Vorstellungen, um der anwachsenden städtischen Misere der Zeit radikal zu begegnen.

In Gartenstädten sollten die Kontrasterfahrung von Stadt und Natur Berücksichtigung finden, sie müssten auf Gemeinnützigkeit basieren und den Menschen durch Kommunikation und Individuation eine humane Gemeinschaftsbedürftigkeit verwirklichen helfen. Es war ein anspruchsvolles Programm, verbunden mit viel Sinn für Realität.

Das Wasser dieses Quells floss bis zum Beginn unseres Jahrhunderts durch den heutigen Messegrund, die Richard-Lehmann-Straße entlang und mündete im Connewitzer Holz in die Pleiße. Mehrfach wurde der Quell angestaut, und sein Wasser floss in einer „Röhrenfahrt“ nach Leipzig in die Häuser wohlbetuchter Bürger, zum Beispiel in das von Hieronymus Lotter. Unter den einfachen Menschen machte immer wieder einmal das Gerücht die Runde, dass das Wasser dieses Brunnens heilkräftig sei. Da half es auch nichts, dass der Leipziger Rat das Wasser analysieren ließ und als Ergebnis stets herauskam, dass das Wasser zwar wohlschmeckend sei, aber keinesfalls Heilkraft besitze – die Leipziger zogen scharenweise zu ihrem „Gesundbrunnen“, um sich an Ort und Stelle an seinem Wasser zu laben, das, wenn es schon nicht heilte, zu mindestens niemandem schadete.

Das erste Gartenstadt-Konzept von Ebenezer Howard, 1902: Wohnstädte sind ringförmig um die Kernstadt angeordnet und mit ihr sternförmig durch Straßen, Eisenbahn und U-Bahn vernetzt sowie untereinander ringförmig verbunden.
Quelle: Wikipedia – Gartenstadt

Howard stellte vor allem vier Grundsätze auf:

  1. Freie Assoziation und Selbstbestimmung der Bewohner
  2. Liebe für die Gesellschaft
  3. Liebe zur Natur
  4. Gemeinschaftseigentum an Grund und Boden

Er verwirklichte seine soziokulturelle Gartenbaugesinnung in der 1903 entstandenen ersten größeren Gartenstadt Letchworth, etwa 50 km nördlich von London.

Auch in Deutschland hatte man das Problem des Wachstumsdruck der Städte bei immer fortschreitender Industrialisierung erkannt und es fanden sich Vorreiter die nach Lösungen und Abhilfe suchten. Hier sei besonders der Leipziger Theodor Fritsch zu erwähnen, der ähnliche Gedanken und Lösungsmodelle in seiner 1896 erschienenen publizierenden Schrift „Die Stadt der Zukunft“ veröffentlichte. Seine Vorstellungen eines Zentral-Ring-Systems mit sich kreisförmigen um die Stadt lagernden Fabrikstädten, durch Mietergarten-, Wald- und Ackerringen von dieser getrennt zu errichten, wurde in Deutschland nicht angenommen, es fand keine Beachtung. Somit nahmen die Gedanken und Vorstellungen des Engländers Howard auch in Deutschland immer mehr Gestalt an. In verschiedenen Großstädten wurden Gartenvorstädte und Gartensiedlungen geplant und in die Tat umgesetzt.

Die Realisierung solcher Siedlungen ermöglichte das Reichsgesetz von 1889 zu „Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“, das die Wirkungsmöglichkeiten des gemeinnützigen Wohnungsbaus klärt.

Durch die Industrialisierung und der sich immer mehr verschlechternden Wohnverhältnissen, interessiert sich besonders die politische Arbeiterbewegung für das Modell der Gartenstadt, aber auch bürgerliche lebensfrohe Bewegungen. Vorangegangen waren in Deutschland gemeinnützige Baugesellschaften und eine starke bodenreformische Bewegung, welche sich gegen die Bodenspekulation wandte. 1899 entstand aus dieser Bewegung der „Bund Deutscher Bodenreform“, er war später maßgeblich an der 1902 gegründeten „Deutschen Gartenstadt Gesellschaft (DGG)“ beteiligt. Ihre Ziele waren klar: Es sollte den Mietskasernen der Großstädte ein ganz neues Konzept für Wohn und Lebensraum für das arbeitende Volk entgegensetzt werden.

Aus dem Programm der DGG von 1902 geht hervor:

Eine Gartenstadt ist eine planmäßige gestalte Siedlung auf wohlfeilem Gelände, das dauernd im Obereigentum der Gemeinschaft erhalten wird, derart, daß jede Spekulation mit dem Grund und Boden für immer ausgeschlossen und der Wertzuwachs der Gemeinschaft gesichert bleibt.

Diesem Grundanliegen Rechnung tragend, entstanden bis zum Jahr 1914 dreißig deutsche Gartenvorstädte und Gartensiedlungen, die konsequenteste Antwort auf die „Ideal- Gartenstadt-Idee“.

Heute gibt es eine Vielzahl mehr, mit unterschiedlichem Charakter, einige haben mit der Idealvorstellung wenig zu tun.

Text: Claus Uhlrich / Überarbeitung: Ronald Börner (2016)
Fotos: Ronald Börner, Hendrik Geisler