Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wissen natürlich, dass unsere Siedlung nach dem sagenumwobenen Marienborn benannt ist. Sie wissen natürlich auch, wo er sich – ein trauriges Relikt aus einst besseren Zeiten – befindet? Richtig – in einem Hohlweg nahe der Tankstelle an der Tabaksmühle. Vielleicht wissen Sie auch, dass es über diesen Brunnen eine Sage gibt. Lassen Sie sich diese Geschichte noch einmal erzählen.
Broschüre: Kennen Sie Marienbrunn?
Unser Marienborn
Das Wasser dieses Quells floss bis zum Beginn unseres Jahrhunderts durch den heutigen Messegrund, die Richard-Lehmann-Straße entlang und mündete im Connewitzer Holz in die Pleiße. Mehrfach wurde der Quell angestaut, und sein Wasser floss in einer „Röhrenfahrt“ nach Leipzig in die Häuser wohlbetuchter Bürger, zum Beispiel in das von Hieronymus Lotter. Unter den einfachen Menschen machte immer wieder einmal das Gerücht die Runde, dass das Wasser dieses Brunnens heilkräftig sei. Da half es auch nichts, dass der Leipziger Rat das Wasser analysieren ließ und als Ergebnis stets herauskam, dass das Wasser zwar wohlschmeckend sei, aber keinesfalls Heilkraft besitze – die Leipziger zogen scharenweise zu ihrem „Gesundbrunnen“, um sich an Ort und Stelle an seinem Wasser zu laben, das, wenn es schon nicht heilte, zu mindestens niemandem schadete.
Der berühmteste Mann der hier seinen Durst stillte, war Napoleon, der am 18. Oktober 1813 hier ganz in der Nähe seinen Kommandostand hatte.
Um 1900 versiegte der Born: Sandgruben, Hausfundamente und Bahneinschnitte hatten die hydrologische Struktur gründlich zerstört. Der mehrfach gefasste Quell blieb nur deshalb erhalten, weil er ein Stück Stadtgeschichte war und sich idyllisch in die Anlagen am Südfriedhof einfügte.
Übrigens stand von 1939 bis 1942 auf der Wiese hinter dem Marienborn eine Bronzegruppe, die Maria mit dem Reh darstellte.
Die Sandsteineinfassung der Brunnenstube und die angrenzende Findlingsböschung wurde 1999 durch das Grünflächenamt neu gesetzt. Auf Initiative unseres Vereins konnten bei der Fertigstellung durch die Schlosserei Dick eine neue schmiedeeiserne Tür eingebaut werden und kurz darauf haben wir auch neben der Quelle eine Bronzetafel mit der Kurzfassung der Marienbrunnsage angebracht.
Durch Spenden konnte der Verein dann 2007 auch die historische Brunneninschrift im Sandsteingewölbe ergänzen und wiederherstellen.
Trenkgraben
Sie als Marienbrunner kennen natürlich die Märchenwiese. Ist Ihnen aber schon einmal aufgefallen, dass alle Straßen, die rechts und links von der Märchenwiese abgehen, ein ziemlich starkes Gefälle haben, was insbesondere deutlich am Verlauf der Zwickauer Straße zu sehen ist?
Das hat natürlich seine Ursachen: die Märchenwiese ist nämlich der letzte noch nicht überbaute Rest eines am Anfang des Jahrhunderts versiegten Wasserlaufes des Trenkgrabens. Seine Quelle hatte er auf dem Thonberg auf Probstheidaer Flur, und zwar im Gelände der Georg-Sacke-Klinik. Er durchfloss das Gelände des heutigen Südfriedhofes, und auf Marienbrunner Flur war, wie oben gesagt, die heutige Märchenwiese sein Bachbett. Hier war er im ausgehenden Mittelalter mehrfach zu Teichen angestaut, deren Wasser von einer Schäferei, dem letzten Gebäude des bereits im 14. Jahrhundert wüst gewordenen Dorfes Olschwitz (es lag in der Nähe der Kaufhalle), als Schaftränke und zum Waschen der Wolle benutzt wurde. Das alte Flussbett lag viel tiefer.
Das heutige Niveau der Märchenwiese entstand durch das Aufschütten der Erdmassen, die beim Bau der Siedlungshäuser und der heutigen Arno-Nitzsche-Straße anfielen. Jenseits der Bahnlinie ist innerhalb der Kleingartengruppe „Waldfrieden“ das ehemalige Bett des Wasserlaufes noch als unübersehbarer Geländeeinschnitt erkennbar. Wo heute der im vergangenen Jahr eröffnete Spielplatz an der Bornaischen Straße/Hildebrandstraße ist, war früher der Trenkgraben zum Straßen- oder Pappelteich (so heißt noch heute eine Gaststätte in der Nähe) angestaut. Die Hildebrandstraße mit ihrem deutlich sichtbaren Gefälle war ebenfalls früher das Bett unseres Wasserlaufes, der schließlich in die Pleiße mündete …
Straßennamen
Kommt ein Ortsfremder nach Marienbrunn und liest den Namen Arminiushof, so denkt er bestimmt, sich dunkel an seinen Geschichtsunterricht erinnernd: „Aha, hier wird er also verehrt, Arminius oder Hermann der Cherusker, der die Römer im Teutoburger Wald vernichtend aufs Haupt geschlagen hat.“
Sie als Marienbrunner wissen natürlich, dass der Fremde sich irrt, und Sie können ihm erklären, dass „Arminius“ weiter nichts als ein Pseudonym ist, und zwar das einer Dame (!), nämlich Gräfin Adelheid von Dohna-Schlodien (Dohnaweg!), die im Jahre 1874 ein „Handbuch über den Städtebau“ verfasste. (Ein ewiges Geheimnis wird wohl bleiben, warum diese bestimmt zarte und hoch gebildete Frau ausgerechnet den Namen des altdeutschen Recken zum Pseudonym wählte.)
Als Marienbrunn gebaut wurde, projektierte man strahlenförmig zwei Straßen, die man nach dem Völkerschlachtdenkmal (Denkmalsblick) und nach dem Krematorium ausrichtete. Letzteres nannte man, um den etwas makaberen Namen Krematoriumsblick zu vermeiden, Turmweg. Beide Straßen treffen sich am Konrad-Hagen-Platz, benannt nach dem 1925 verstorbenen ersten Vorsitzenden der Gartenvorstadt Leipzig-Marienbrunn GmbH. (Hartnäckig hält sich hier das Gerücht, dass er irgendwie mit der Rocklady Nina verwandt sei.)
Die Verbindungsstraße zur Zwickauer Str. heißt Liebfrauenstraße. Sie trägt also einen der vielen Namen der Mutter Jesu. Hier ist den Benennen aber ein Irrtum unterlaufen; denn der Marienborn, der Namensgeber unserer Siedlung, enthält bekanntlich den Namen der Pilgerin Maria, die 1441 die Aussätzigen des Johannishospitals auf den Thonberg geführt hatte, wo nach einem inbrünstigen Gebet der heilende Quell entsprungen sein soll.
Wer nicht weiß, warum eine der hiesigen Straßen Am Bogen heißt, sollte sich ihren Verlauf einmal auf einem Stadtplan anschauen, dann weiß er es.
Am Lerchenrain sollen vor der Bebauung Nistplätze dieser Morgensänger gewesen sein.
Die Straße An der Tabaksmühle trägt den Namen der im 18. Jahrhundert von dem Leipziger Tabakgroßhändler Quandt gebauten Schnupftabakmühle, die während der Völkerschlacht abbrannte.
Triftweg bedeutet Schaf- und Viehtreibeweg. Der historische Viehtreibeweg dieser Flur war aber die heutige Connewitzer Straße.
Die Arno-Nitzsche-Straße ist nach einem KPD-Funktionär und Spanienkämpfer benannt, der nach dem Aufenthalt im KZ Sachsenhausen als Gasmeister im damaligen Gaswerk Süd arbeitete und beim Versuch, einen verunglückten Kollegen zu retten, selbst ums Leben kam.
Die Straßen in der Siedlung an der Tabaksmühle sind nach Märchensammlern oder Verfassern von Kunstmärchen benannt. Lebenszeit und Werke dieser Personen können auf den Schildern mit den Straßennamen nachgelesen werden.
Als man die Straße An der Märchenwiese projektiert hatte, war das gleichzeitig ein Programm für die weiteren Straßennamen in diesem Wohngebiet; denn alle rechts und links abzweigenden Straßen wurden nach deutschen Märchen- und Sagengestalten benannt. Nur beim Zauberweg sträubt sich etwas unser Sprachgefühl; denn da alle Straßen die Namen von Personen, wenn auch fiktiven, tragen, müsste er eigentlich Zaubererweg heißen.
Erfreulicherweise wurde eine in der DDR neu angelegte Straße entsprechend dieser Tradition Sandmännchenweg genannt, und hätte man hier weitergebaut, hätten wir heute vielleicht einen Frau-Elster- oder Pittiplatschweg.
Gedenksteine
Gedenkstein Marienborn
Im Jahr 1939 gab es auf Marienbrunner Flur eine ganze Reihe von Denkmalen und Gedenksteinen. Am bekanntesten ist wohl der Gedenkstein Marienborn, welcher, wie unser Wohngebiet, seinen Namen nach der inzwischen versiegten Quelle Marienborn bekommen hat.
Man findet ihn, vernachlässigt und demoliert, im Denkmalspark in der Nähe des Südfriedhofes.
1939 wurde auf der Wiese am Marienborn eine Bronzegruppe „Maria auf dem Reh“ aufgestellt, die an eine Episode aus der Entstehungssage dieses Quells erinnern sollte: Die Pilgerin Maria führt am Johannistag des Jahres 1441 Aussätzige an diese Stelle, wo nach einem Gebet ein Bächlein der Erde entquoll. Nachdem die Kranken von dem Wasser getrunken hatten, gesundeten sie sofort.
Darauf erschien ein weißes Reh, auf dem Maria vom Ort des Geschehens davon ritt. Geschaffen hatte die Plastik Alf Brumme, ein damals viel beschäftigter Bildhauer. Gestiftet hatte sie Dr. Gustav Schwabe, ein Stötteritzer Zahnarzt. Leider stand die Bronzegruppe nicht lange; im Rahmen der „Metallspende des deutschen Volkes an seinen Führer“ wurde sie 1942 abgerissen und eingeschmolzen.
Gedenkstein für die gefallenen Marienbrunner
Er steht, von Einwohnern und Vorübergehenden kaum noch wahrgenommen, vom Zahn der Zeit und Leipzigs aggressiver Luft arg angenagt, von Kindern bekritzelt, zwischen Pappeln auf der Wiese am Arminiushof – der Gedenkstein für die Gefallenen des 1. Weltkrieges.
Sein Material ist Rochlitzer Porphyr, und geschaffen wurde er nach einem Entwurf des Architekten Tschammer, in dessen Büro, das er gemeinsam mit Caroli betrieb, auch die Pläne für einige Marienbrunner Bauten entstanden.
Irgendwie hebt sich unser Kriegerdenkmal aus der Masse der anderen Denkmale heraus, die in den zwanziger Jahren aus gleichem Anlass heraus entstanden: eine sich nach oben verbreiternde viereckige Säule, die von einer flachen Pyramide gekrönt wird und – gewollt oder ungewollt – an die Leipziger Apelsteine erinnert.
Im Stadtarchiv existiert zum Glück eine Akte, das „Ehrenmal i. d. Anlagen a. Arminiushof i. L.- Marienbrunn betr.“, aus der folgendes hervorgeht: In den 20er Jahren, zwischen dem Ende der krisengeschüttelten Nachkriegszeit (1923) und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise (1929), entstanden in den meisten Städten und Gemeinden Erinnerungs- und Ehrenmale für die 1914/18 gefallenen Einwohner.
Auch in Marienbrunn fasste der Bewohnerausschuss den Beschluss, eine Gefallenengedenkstätte zu errichten, und Herr Hengstmann, Vorsitzender dieses Ausschusses, informierte am 27. Januar 1926 die Städtische Gartenbaudirektion darüber, dass Marienbrunn „die Errichtung eines Ehrenmals in den Anlagen des Arminiushofes“ plane. Offensichtlich waren die Vorarbeiten dazu schon weit gediehen, denn dem Schreiben lag die Skizze für das geplante Ehrenmal bei, angefertigt von keinem geringeren als dem bekannten Leipziger Architekten Tschammer, der auch schon am Bau von Marienbrunn beteiligt gewesen war.
Das Stadterweiterungsamt, damals für die Aufstellung von Denkmalen und Ähnlichem zuständig, hatte keine Bedenken gegen dieses Projekt, so dass nun ein Steinmetz, dessen Name aus den Akten nicht hervorgeht, das Mal nach Tschammers Entwurf anfertigen konnte. Leider enthalten die Akten auch keine Angaben über die Höhe des Honorars für den Architekten und die Summe, die der Handwerker in Rechnung stellte.
Der Architekt Tschammer hatte folgende Inschrift vorgesehen: „1914 – 1918/ Seinen/ treuen Toten/ das dankbare/ Marienbrunn“. Wahrscheinlich nahmen die Marienbrunner – unter ihnen bekanntlich viele sprachgeschulte Lehrer! – Anstoß an den „treuen Toten“ (können Tote noch treu sein?), und deshalb wurden folgende Inschriften gemeißelt: Auf der Vorderseite war jetzt zu lesen „Unseren/ gefallenen/ Einwohnern/ 1914 – 1918“; auf der rechten und linken Seite waren die Namen von je acht Gefallenen verzeichnet; und auf der Rückseite stand höchstwahrscheinlich – soweit noch zu entziffern – der Name „Tschammer“.
Da die Stadt in hochherziger Weise die Kosten von 50 RM für die Aufstellung übernommen hatte, stand der Denkmalsweihe am 2. Mai 1926 nichts mehr im Wege. Wie diese verlief, können wir den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ vom nächsten Tage entnehmen: „Die Einwohnerschaft der Gartenvorstadt Leipzig-Marienbrunn enthüllte am Sonntag in Anwesenheit des Vertreters der Stadt, Stadtrat Dr. Nitzsche, das Ehrenmal ihrer im Weltkrieg gefallenen Söhne.“ Die ernste Feier wurde mit Gesang des Marienbrunner Gesangvereines eingeleitet.
Die Weiherede hielt Pfarrer Bonhoff von der Reformierten Gemeinde. Der Redner wies daraufhin, dass dieser Stein im Mittelpunkt der Gemeinde, an dem schönen Schmuckplatz, zur Erinnerung aufgestellt worden sei, an dem Platz, den die Verstorbenen kurz vor dem Beginn des Krieges mit anlegen halfen. An die Rede schlossen sich eine Anzahl Ehrungen für die Gefallenen an. Herr Kormann (jun.) trug einen Prolog vor und legte darauf einen Kranz in den Marienbrunner Farben grün, gelb, blau nieder, dem sich Frau Zumpe namens der Frauen und Verlagsbuchhändler Dr. Felix Meiner anschlossen.
Der Gesang des alten Soldatenliedes „Ich hat einen Kameraden“ sowie die ergreifenden Klänge von Wohlgemuth’s „Hymne an die Gefallenen“ beschlossen die einfache und würdige Feier. Damit war der Gedenkstein städtisches Eigentum geworden, und Marienbrunn musste seine das Denkmal betreffenden Akten an das Städtische Hochbauamt abgeben.
Der Rochlitzer Porphyr ist zwar ein sehr dekoratives; aber auch ein sehr poröses Gestein. Siebzig Jahre aggressive Leipziger Luft haben die Inschrift praktisch ausgelöscht, mehrere Risse durchziehen den Steinblock, Schmierereien trugen zusätzlich zu einem desolaten Aussehen bei.
Der Verein der Freunde von Marienbrunn hat sich deshalb dieser Sache angenommen, Spenden gesammelt und mit den Bewohnern die Wiederherstellung und Ergänzung der Inschriften diskutiert. 1995 wurde dann der Stein in einer Steinmetzwerkstatt restauriert, die Inschriften und Namen (anhand alter Fotos und Dokumente) rekonstruiert und auf einer bisher freien Seite eine zusätzliche Gedenkinschrift „Für die Opfer des II. Weltkrieges und jeder Gewaltherrschaft“ angebracht.
Seither steht der Stein wieder an seiner originalen Stelle und altert erneut.
Weitere Gedenksteine
Im Jahre 1936 wurde im gleichen Park eine Gedenksäule für die Opfer des Leipziger Zeitfreiwilligenregiments aufgestellt, jener Formation, die sich während des Kapp-Putsches (März 1920), der den Sturz der gewählten Regierung und die Errichtung einer Militärdiktatur zum Ziele hatte, mit bewaffneten Arbeitern heftige Kämpfe lieferte.
An der Straßenbahnwendeschleife am Friedhofsweg wurde im gleichen Jahre ein Findling, der Kolonialstein, mit der Inschrift „Deutsche gedenkt eurer Kolonien“ aufgestellt.
Im Wilhelm-Külz-Park, nahe der Richard-Lehmann-Straße, stand ein Gedenkstein, der an den Leipziger Gartenbaudirektor und Schöpfer des Denkmalparks, Carl Hampel, erinnern sollte.
Alle drei gibt es nicht mehr: Die Zeitfreiwilligensäule wurde natürlich aus politischen Gründen kurz nach dem Kriegsende abgerissen; der Kolonialstein steht zwar noch, aber seine Inschrift wurde ausgemeißelt und der Carl-Hampel-Gedenkstein war irgendwann einmal verschwunden.
Text: Claus Uhlrich / Überarbeitung: Ronald Börner (2016)
Fotos: Ronald Börner, Hendrik Geisler